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Wie entsteht psychisches Leid?

Nach dem berühmten Psychotherapeuten und Psychiater Irvin D. Yalom gibt es folgende existenzielle Tatsachen des Lebens, die wir akzeptieren müssen:

  • die Möglichkeiten und Fähigkeiten jedes Menschen sind begrenzt
  • alles als sicher Geglaubtes kann jederzeit und unwiederbringlich verloren sein
  • man kann sich selbst und andere Menschen niemals vollkommen verstehen
  • es gibt auf der Welt keine höhere Gerechtigkeit, die dafür sorgt, dass die Guten belohnt und die Bösen bestraft werden
  • es gibt keine Garantie dafür, dass wir Hilfe bekommen, wenn wir sie brauchen
  • es sind nicht alle Probleme lösbar
  • es gibt Fragen, auf die man auch durch noch so großes Bemühen keine Antwort finden wird

Wir müssen diese existenziellen Begrenzungen anerkennen. Gelingt uns das nicht oder glauben wir, diese nicht ertragen zu können, so entsteht psychisches Leid.

aus: Humanistische Psychotherapie, W. Eberwein, Thieme Verlag, 2009, S. 50

Die fünf Freiheiten menschlicher Kommunikation

Die US-amerikanische Sozialarbeiterin und Psychoanalytikerin Virginia Satir (1916-1988) formulierte die folgenden fünf Freiheiten als Grundlage menschlicher Kommunikation:

  • Die Freiheit zu sehen und zu hören, was im Moment wirklich da ist, anstatt das, was sein sollte, gewesen ist oder erst sein wird.
  • Die Freiheit, das auszusprechen, was gefühlt und gedacht wird, und nicht das, was scheinbar erwartet wird.
  • Die Freiheit, zu den eigenen Gefühlen zu stehen, und nicht etwas anderes vorzutäuschen.
  • Die Freiheit, um das zu bitten, was gebraucht wird, anstatt immer auf die Erlaubnis durch andere zu warten
  • Die Freiheit, in eigener Verantwortung Risiken einzugehen, anstatt immer auf Nummer sicher zu gehen und nichts Neues zu wagen.

Nach ihrer Vorstellung ist der Mensch von Grund auf gut und strebt nach Wachstum und einem gesunden Selbstwert. Er braucht diese fünf Freiheiten, um dieses Grundbedürfnis zu erfüllen.

Was ist Psychotherapie?

Ein psychisches Symptom (z.B. Depression, Ängste etc.) ist ein Zeichen einer psychischen Dekompensation, d.h. die psychischen Fähigkeiten reichen zur Bewältigung der aktuell anstehenden Lebensaufgaben nicht mehr aus – die Psyche des Menschen ist überfordert.

Die psychischen Fähigkeiten zur Bewältigung der Lebensaufgaben erlernen wir idealerweise während unserer Kindheit und Adoleszenz. Aus verschiedensten Gründen kann es passieren, dass dieses nicht in ausreichendem Maße gelingt. Diese Entwicklungsdefizite können die meisten Menschen eine ganze Weile kompensieren – bis irgendwann die Fähigkeiten nicht mehr ausreichen, um die Anforderungen des Lebens zu erfüllen. Es kommt zur Dekompensation, die sich in psychischen Symptomen zeigt.

An dieser Stelle ist es also wichtig, etwas zu verändern.

Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu belassen und zu hoffen, dass sich etwas ändert.

Albert Einstein

In der Psychotherapie versucht man herauszufinden, welche Fähigkeiten fehlen, um sie anschließend mit Hilfe des Therapeuten zu erlernen. Es findet dadurch ein Nachreifen statt und die Symptome werden deutlich weniger oder verschwinden sogar ganz.

Psychotherapie ist verstehen und lernen.

Die therapeutische Haltung

Über die therapeutische Haltung ist viel gesagt und geschrieben worden. Das wichtigste aus meiner Sicht ist es jedoch, jedem Patienten offen und neugierig zu begegnen mit der Haltung des „Nicht-Wissens“.

Es ist gut, möglichst viele Konzepte im Hinterkopf zu haben, aber man sollte sich darüber bewusst sein, dass dies auch nur Theorien und nicht die „Wahrheit“ sind.

Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Sokrates
Grundbedürfnisse

Alle Menschen haben folgende Grundbedürfnisse – und zwar ab dem Tag ihrer Geburt:

  • Bindung – ich bin nicht allein; ich werde nicht verlassen; ich werde geliebt um meiner Selbst willen
  • Sicherheit – es gibt Dinge, auf die ich mich verlassen kann; ich werde beschützt; ich weiß, was passieren wird
  • Kompetenz – ich kann was; ich habe Einfluss auf das, was mit mir passiert; ich kann etwas bewirken mit meinem Tun
  • Autonomie – ich kann selbst entscheiden; ich bin unabhängig von anderen; ich kann mich weiterentwickeln

Werden eines oder mehrere dieser Grundbedürfnisse über einen längeren Zeitraum nicht erfüllt, so werden Menschen psychisch krank.

Freiheit

„Wenn ich tun und lassen kann, was ich will und keiner mir Grenzen setzt, dann bin ich frei!“

Stimmt das so? Auf den ersten Blick klingt es logisch und nachvollziehbar: Freiheit ist das Gegenteil von Gefangenschaft – ein Gefangener hat Grenzen um sich – also bin ich frei, wenn es keine Grenzen mehr gibt.

Menschen, die frei sein wollen, versuchen also sich aller Grenzen zu entledigen: finanzielle Grenzen, körperliche Grenzen, soziale Grenzen…..und werden frei und glücklich?

In der Kindererziehung sagt man, „grenzenlose“ Kinder sind haltlos, unzufrieden und anstrengend für ihr Mitmenschen. Tatsächlich ist eines der Grundbedürfnisse des Menschen Sicherheit – und das bedeutet auch Begrenzung.

Und mal ganz ehrlich: gibt es eine Welt ohne Grenzen? Zwar mag das Universum „unendlich“, also grenzenlos sein, aber dennoch gibt es für uns Menschen zahlreiche Grenzen, die wir akzeptieren müssen und sei es nur unsere Lebenszeit, die zwar immer länger aber dennoch begrenzt ist.

Also Freiheit bedeutet nicht Grenzenlosigkeit. Vielleicht ist das Gegenteil von Freiheit auch nicht Gefangenschaft sondern Abhängigkeit – also das Fehlen einer Wahlmöglichkeit. Wenn ich abhängig bin, kann ich nicht wählen, jemand anders entscheidet für mich und ich muss mich fügen. Ich kann in einer Umgebung mit wenig Grenzen leben – finanzielle Unabhängigkeit, Reisefreiheit, Gesundheit – und dennoch in Abhängigkeit zu einer anderen Person oder Institution, so dass ich nicht selbst wählen kann, was ich tue.

Das ist Unfreiheit.

Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern, dass er nicht tun muss, was er nicht will.

Jean-Jacques Rousseau